Erlebnisse eines Con-Besuchers

(Andreas Steding für Sauri's Allstars 50
recycled in Interzine '89.10', 1989-10-12)

"Schön, Dich schon zu sehen, komm ruhig rein, während wir zu Ende essen, und mach es Dir bequem, bis heute abend der Con beginnt!" So begrüßte mich der Gastgeber des Cons. Ich bewundere immer wieder die stoische Ruhe, die Spieler im Umgang mit Con-Veranstaltern entwickeln. Aber man muß ja auch Verständnis für sie haben, sie sind manchmal so nervös. Ich ignorierte den Hausherrn und kümmerte mich um wichtigere Dinge: die Wahl des Schlafplatzes. Allein deswegen ist es unbedingt notwendig, früher zu erscheinen, schließlich sind üblicherweise nur drei Schlafplätze in einem Haus während eines Cons wirklich benutzbar, einen davon belagert der Hausherr (obwohl der sowieso nie zum Schlafen kommt) und die restlichen zwei gehen an enge Vertraute. Um den Rest, die sogenannten Stehschlafplätze, gibt es erbitterte Kämpfe. Dies wollte ich diesmal vermeiden, ich kann kein Blut sehen. Also rollte ich in einem einsamen, mit dickem Teppich belegten Flur meinen Schlafbeutel aus, später wäre ich dazu sowieso nicht mehr gekommen.

Der Hausherr aß noch, die anderen Gäste suchten noch gute Schlafplätze, so las ich ein wenig in der ausgewählt guten Bibliothek. Leider entglitt mir dabei ein Buch, sicherlich bedauerlich, aber doch verständlich, schließlich ist es schwierig, ein volles Whiskyglas, einen überhäuften Pappteller Kartoffelsalat und ein Buch gleichzeitig zu balancieren. Dem Gott des Spieles sei Dank, daß das in Leder gebundene Buch zuunterst fiel, so daß es kaum Fettflecken im whiskygetränkten Teppich gab. Ich wollte mir einen neuen Teller holen, doch die Salate waren inzwischen aufgebraucht, ein echter Skandal: vor Conbeginn das Essen weg. Das geheime Whiskyversteck hatten auch schon andere geplündert, nur Bücher gab es noch. Der Hausherr erschien nun auch endlich, machte sich allerdings gleich unbeliebt, indem er Leute zum Umräumen suchte. Er fand nur einen Conneuling, der Rest hatte sich in den diversen Toiletten eingeschlossen und diskutierte den Sinn der körperlichen Arbeit in einer modernen Industriegesellschaft. Wir kamen erst hervor, als das polternde Fallen des Neulings über einen Schlafsack zu hören war. Amateure sollten Converbot bekommen.

Tisch

Langsam sammelten sich die Massen in den offiziellen Conräumen, da in allen anderen Räumen inzwischen Essen, Trinken und Bücher fehlten. Obligatorisch und damit der Con nicht zu hektisch beginnt, eröffneten wir den Abend mit dem beliebten Was-wollen-wir-spielen-Spiel. Die Regeln sind einfach: Einer nennt den Namen eines Spiels und alle anderen stöhnen. Wer zuerst sagt, daß er ein Spiel spielen will, das ein anderer vorgeschlagen hat, ist raus. Die zuletzt übriggebliebenen entscheiden, ob sie 1829 oder Civilization spielen. Der Neuling schied als erster aus und begann schmollend, Bücher zu lesen, was auch einige andere taten, zwar nicht verärgert, aber schließlich kann man den Namen eines Spiels erst nach mindestens drei Flaschen Bier aussprechen.

Kurz bevor die Aufbauarbeiten beendet waren, erschien ein Herausgeber mit seinem Zine. Natürlich wurde es ihm sofort aus den Händen gerissen. Man überblätterte kurz die Selbstdarstellungsseiten des Herausgebers, um die neuesten Fußball- und Tennisergebnisse auswendig zu lernen. Eine kleine Gruppe verzog sich in eine Ecke, um die Ergebnisse zu analysieren und ein Thesenpapier zum letzten Spieltag zu erstellen. Ich bemerkte erst nach einer Stunde, daß ich das Zine gar nicht abonniert hatte.

Der Neuling fragte doch glatt, warum es Spieltreff heiße, wenn wir nur Postspiele besprächen, ohne selber zu spielen. Dilettant, so etwas sollte Spielverbot bekommen. Inzwischen waren wir natürlich wieder hungrig, vom Durst ganz zu schweigen, also wurde der Hausherr Bier holen geschickt (er hatte nur fünf Kästen bereitgestelt, ein echter Skandal) und wir gingen essen. Bis auf einen, der lieber seine Butterbrote aß. Aber danach fingen wir auch gleich an zu spielen. Die 1829-Partie wurde nach zwei Zügen beendet, da der Computer errechnet hatte, wer in zwölf Runden gewinnen würde; die Küche war durch zwei Cosim-Spieler belegt, die eine Schlacht im 1:3-Verhältnis aufbauten. Civilization lief zügig voran, allerdings saß immer nur ein Teil der Spieler am Brett, der Rest stand um den Tisch, wo Alarich gespielt wurde. Dies störte die Alarich-Spieler nicht, wie gesagt, Spieler sind tolerant; außerdem standen sie sowieso immer um den Civilization-Tisch herum. Ein Barbarian, Kingdom and Empire-Spieler begann gerade zum achten Mal als Hunne und entwickelte die quantitative Relativitätstheorie und ihrem Umschlag in Qualität. Ein paar Leseratten waren immer noch am Lesen, und einer traktierte einen Computer, Spielen ist kommunikativ.

So langsam begann die 4-Uhr-früh-Phase, die ersten fielen mitten im Zug schlafend vom Hocker, einige begannen, lustlos in den mitgebrachten Spielen zu wühlen und den Inhalt gleichmäßig über die Räume zu verteilen. Jemand lallte von seinem Computerprogramm, mit dem er die United-Züge der Mitspieler erforschen könne. Allgemein sank die Stimmung und wurde nur noch durch gelegentliche "Puuutsch"- oder "Teimgäsch"-Rufe aus hinteren Räumen etwas aufgeheitert. Die meisten verzogen sich, um am kommenden Tag frisch zu sein, nur einige ganz Harte verblieben, plünderten den Eisschrank (und störten die Cosim-Spieler, während der noch immer andauernden Aufbauphase), erzählten von alten Tagen, wo die Cons mehr Schwung hatten, oder lästerten über nicht Anwesende. Gegen Morgen ging unverschämterweise die Sonne auf, die Vögel brüllten und die Nachbarn glaubten, den Rasen mähen zu müssen. Einige leichenähnliche Wesen schälten sich aus den Schlafsäcken, die Schlange vor der Dusche erinnerte an die Sommerstaus. Erst als jemand den unter der Dusche Eingeschlafenen durch ständiges Brüllen und Aufdrehen aller Musikanlagen geweckt hatte, löste sich der Stau stockend auf. Dafür waren nun auch alle wach, einige schauten verwirrt in die Küche, wo gerade zum ersten Mal ein Würfel geworfen wurde.

Der zweite Tag begann, er war völlig anders als frühere Con-Tage, man spielte Civilization, 1829 und Cosmic Encounter. Die Küche wurde nicht frei, obwohl nach der ersten Runde abgebrochen wurde, da der Würfel entschied, daß der Chef der 3. Kompanie schlecht gefrühstückt hatte. Das Spiel war so gut, daß die beiden es gleich noch einmal spielten, bis 21 Uhr gelang es ihnen, die Pöppel abzubauen. Dann begann die Aufbauphase.

Die Müdigkeit schlug am zweiten Tag etwas früher durch, schon beim Mittagessen gegen 21 Uhr schauten einige glasig, während der Bierkonsum proportional zur Müdigkeit anstieg. An den dritten Tag kann ich mich nur noch schwer erinnern, der Hausherr hat irgendwann einen Koller bekommen, ich glaube, als jemand schlafend von einem Stuhl in den Fernseher fiel (some loss is always). Außerdem, der Monitor vom Computer blieb heile, der Computer hat den Becher Bier auch hervorragend verdaut. Diverse Leute kamen noch an, die niemand kannte oder eingeladen hatte, aber dafür brachten sie noch viele gute Freunde mit. Der Nahrungsnotstand führte zu erheblichen Plünderungen in den benachbarten Gärten und Kühlschränken, der Hausherr redete dauernd vom Umziehen und irgend jemand begann, einige Bäume im Garten umzuhauen, damit sein Zelt Platz hätte. Die Männer des ersten Tages brachen auf, weiß in den Gesichtern, sich für nächste Woche verabredend, um endlich einmal wieder so richtig zu spielen, natürlich neue Spiele, die keiner kannte. Ganz frisch waren wir alle nicht mehr, einer wollte mit der Mülltonne nach Hause rollen, ein zweiter zupfte alle Blumen ab, um sie seiner Frau zu schenken, die dachte, er würde seine Mutter besuchen.

Insgesamt ein guter, durchschnittlicher Con, ohne viel Chaos.