Wenn der Postmann zweimal klingelt
oder : ZAT ist ZAT

pbm oder Spiele per Post - was ist das eigentlich?

Der ganz normale Wahnsinn

Ein Mensch wartet jeden Morgen sehnsüchtig auf den Briefträger, reißt ihm als erstes einen größeren braunen Umschlag aus den Händen, öffnet diesen, nimmt ein kleines Heftchen heraus und bricht beim Durchblättern mehrfach in lauten Jubel oder Ärger aus. Gibt es nicht? Gibt es doch! Der Mensch ist ein Postspieler...

Ein anderer Mensch macht seinem Briefträger noch größeren Kummer: Sein Briefkasten ist nämlich viel zu klein für die Dutzende von Briefen, die täglich eintreffen. Und alle Briefe sind privater Natur. Gibt es nicht? Gibt es doch! Der Mensch ist ein Spielleiter ...

Wie die Sache funktioniert

Wenn man bei einem Postspiel mitmacht, sitzt man seinen Mitspielern nicht Auge in Auge (face to face, ftf) am Spieltisch gegenüber, sondern kommuniziert mit ihnen per Post (play by mail, pbm). In einer Partie können also Leute aus ganz Deutschland oder gar der ganzen Welt mitmachen.

Zentrale Figur der Partie ist der Spielleiter: Er spielt selbst nicht mit, sondern sorgt als eine Art Schiedsrichter dafür, daß alles nach den Spielregeln verläuft.
Die Mitspieler schicken ihm jede Runde ihre Spielzüge, in denen sie ihre Aktionen der neuen Runde angeben. Spätestens zum vorgegebenen Zugabgabetermin müssen die Spielzüge beim Spielleiter vorliegen. Aus diesen ermittelt der Spielleiter (oft unter Verwendung eines Computers) die Ergebnisse der aktuellen Runde und faßt sie in einer Auswertung in schriftlicher Form zusammen (mit Schreibmaschine oder Textverarbeitungssystem).

Zur Übermittlung der Auswertung an die Mitspieler gibt es zwei verschiedene Methoden:

Sobald die Mitspieler die neue Auswertung bekommen haben, können sie ihr die Aktionen ihrer Gegner und die neue Situation entnehmen. Darauf aufbauend planen sie ihren Zug für die nächste Runde. Gegebenenfalls kommt es auch zu ausgiebigen Verhandlungen (Absprachen) mit anderen Spielern in der gleichen Partie (per Brief oder Telefon).

In den letzten Jahren wird die Kommunikation zwischen Spielern und Spielleitern vermehrt per E-Mail durchgeführt; Auswertungen werden auf Homepages des Spielleiters bzw. des Herausgebers veröffentlicht. Es ist abzusehen, daß sich über kurz oder lang ein erheblicher Teil der Postspielszene ins Internet verlagern wird.

Wie alles begann

Am Anfang war Diplomacy. Für dieses amerikanische Brettspiel braucht man 7 Mitspieler, und eine Partie kann leicht mehrere Tage dauern!
Weil sich nur selten so viele spielbegeisterte Leute für solch eine lange Zeit zum Spielen zusammenfinden, wurde in den USA 1963 das erste pbm-Zine gegründet: Graustark von John Boardman. Im Lauf der Zeit entstanden dann immer mehr Zines in den USA und später auch in England - daher stammen die vielen englischsprachigen Abkürzungen, die sich auch bei uns eingebürgert haben.
1974 brachte Walter Luc Haas aus Basel mit Bumm das erste deutschsprachige Zine heraus, 1977 folgte Hartmut Halfmeier mit seinem Externe WebSiteSTABSanzeiger, dem ersten deutschen Zine.

Inzwischen gibt es weit über 60 Zines in deutscher Sprache mit insgesamt schätzungsweise 1000-1500 Mitspielern.

Was man alles in einem Zine findet

Üblicherweise verliert der Herausgeber zu Beginn ein paar Worte über seine aufopferungsvolle Arbeit, um dann die Neuigkeiten wie Partiestarts, Angebote neuer Spiele usw. zu verkünden.

Die Auswertungen der einzelnen Partien enthalten meistens nicht nur die nackten Ergebnisse, sondern oft auch graphische Darstellungen der Situation und zusätzlich Presse: Das sind kurze oder längere, ernste oder lustige Kommentare der Spieler (und Zuschauer) zum aktuellen Geschehen, die den Spielspaß enorm erhöhen können.

Eine Liste der Freien Spielplätze darf nicht fehlen: Dort steht, welche Postspiele gerade angeboten werden, also auf die Anmeldung wievieler weiterer Spieler warten, und wer die einzelnen Partien als Spielleiter betreuen wird.

In manchen Zines gibt es auch eine Leserbriefecke, man diskutiert über Regeln, Taktik & Strategie und was sonst noch so anfällt im gemeinsamen Hobby. Vielfach wird eine regelmäßige Spiele-Hitparade durchgeführt. Immer häufiger findet man auch Beiträge über sonstige Themen von mehr oder weniger allgemeinem Interesse, wie zum Beispiel Musik, Bücher, Filme, Sport, Reisen oder sogar Politik - dies alles wird unter dem Oberbegriff "Chat" zusammengefaßt und wertet ein Zine vom reinen Vehikel zur Abwicklung von Postpartien zum Kommunikationsforum auf.

Was man alles per Post spielt

Es gibt einfache Spiele, die man eher nebenbei spielt und für die man einen Spielzug in fünf Minuten gemacht hat, aber auch sehr komplexe, die pro Spielzug mehrere Stunden Zeitaufwand erfordern. Bei manchen Spielen ist es z. B. unumgänglich, eine eigene Karte mitzuführen (etwa aufgehängt an der Wand) und darauf (etwa mit unzähligen kleinen bedruckten Papierstückchen) die jeweils aktuelle Situation darzustellen. Verhandelt man mit anderen Mitspielern per Brief oder Telefon, braucht man dafür natürlich zusätzliche Zeit. Ebenso geht das Verfassen lesenswerter Pressebeiträge zum Abdruck im Zine nicht so auf die Schnelle.

Doch auch für die abstrakten "Tüftelspiele", wo jeder Mitspieler (fast) ohne Interaktion mit den anderen logische Probleme zu lösen hat, ist oft ein erheblicher Zeitaufwand nötig. (Manche Spieler haben sich schon Computerprogramme geschrieben, die sie bei der Zugerstellung unterstützen.)

Je nach Spiel machen in einer Partie nur zwei oder drei (selten), meist vier bis zwölf Spieler mit, und gelegentlich noch viel mehr - bei Postspielen in Zines aber kaum mehr als 100. Bei den meisten Spielen liegt die Teilnehmerzahl nach dem Start der Partie fest, bei einigen kann man aber auch jederzeit einsteigen - das sind dann solche mit "beliebiger Teilnehmerzahl".

In manchen Spielen ist es notwendig, daß die Spieler "private" Informationen bekommen, also solche, die ihre Gegner nicht sehen sollen. Wenn die Menge dieser Informationen nicht zu groß ist, können sie geeignet codiert in der Auswertung abgedruckt werden, sodaß sie nur der jeweilige Empfänger versteht. Vor dem Start der Partie müssen dann natürlich Spieler und GM entsprechende Codes verabreden. Sind umfangreiche private Informationen nötig (z. B. bei Spielen mit begrenztem Sichtbereich, wo jeder keineswegs sämtliche Informationen über die gesamte Karte hat, sondern nur seinen eigenen Teilbereich sieht), müssen individuelle Auswertungen verschickt werden -- solche Spiele eignen sich also nicht zur Durchführung im Zine selbst.

Wie lange das dauert

Die meisten Zines erscheinen etwa in monatlichem Rhythmus, einige auch häufiger. Wegen der Postlaufzeiten ist eine zweiwöchentliche Erscheinungsweise die schnellstmögliche, und dabei wird es oft schon ziemlich knapp!

Ein "kurzes" Spiel dauert etwa 10 Runden, ein "langes" über 20, und dann gibt es noch die ewigen Spiele, die theoretisch nie aufhören und praktisch nur dann, wenn der Spielleiter oder alle Spieler keine Lust mehr dazu haben. Je nach Erscheinungsrhythmus des Zines dauert eine Postspiel-Partie also mindestens ein halbes Jahr, meistens ein bis zwei Jahre oder eben auch ewig. Man sollte also nur mitmachen, wenn man sich sicher ist, daß man bis zum Ende durchhält (sofern es eines gibt). Durch einen plötzlichen Ausstieg aus einer laufenden Partie verdirbt man nämlich meistens den Mitspielern den Spaß, weil das weitere Spiel dann irregulär verläuft. (Aus den ewigen Spielen kann man bei rechtzeitiger Ankündigung durchaus in gegenseitigem Einvernehmen aussteigen.)

Was es kostet

Praktisch alle pbm-Zines werden auf Selbstkostenbasis vertrieben, d. h. die Spielleiter und Herausgeber verrichten ihre Arbeit ehrenamtlich, aus "Spaß an der Freud". Die Mitspieler bezahlen also nur die Herstellungs- und Versandkosten der Hefte sowie natürlich das Porto für ihre eigenen Spielzüge (und die manchmal erschreckende eigene Telefonrechnung ...), allenfalls noch eine Lage Pizza und Cola für das Herstellungsteam, das stundenlang im Copyshop stand. Manchmal gibt es zusätzliche Spielgebühren für besonders aufwendige Spiele oder zur "Erziehung" von unzuverlässigen Mitspielern. Es gibt normalerweise auch keine materiellen Preise für Sieger, sondern man spielt "nur" zum Vergnügen.

Ein Abonnement funktioniert bei fast allen Zines folgendermaßen: Man zahlt einen Betrag eigener Wahl ein (z. B. 20 DM) und bekommt dann solange die neuen Ausgaben geschickt, wie das Guthaben zu ihrer Bezahlung ausreicht. Der persönliche Kontostand jedes Abonnenten wird normalerweise auf dem Adreßetikett angegeben, und wenn er gegen Null geht, wird oft ein Hinweiszettel beigelegt oder eine entsprechende Markierung im Heft angebracht. Bei negativem Kontostand wird in der Regel kein Heft mehr verschickt.

Warum es soviel Spaß macht

Ein großer Vorteil von Postspielen ist die Möglichkeit, sich seine Spielzüge und die gesamte Taktik und Strategie ausführlich und in Ruhe zu überlegen. So können auch sehr komplizierte Spiele durchgeführt werden - und auch solche mit mehreren Dutzend Mitspielern. Außerdem kann man sich mit Postspielen auch zu Zeiten und bei Gelegenheiten beschäftigen, zu denen man kaum eine Spielrunde am Tisch zusammenbekommen würde ...

Das (zeitaufwendige) Verfassen und Lesen fantasievoller Pressebeiträge ermöglicht eine Atmosphäre, wie sie am Tisch fast nur bei Rollenspielen vorkommt: Besonders in anonymen Partien, aber praktisch in jedem Spiel kann man viel Spaß daran haben, sich ein Image aufzubauen und sich dabei mit anderen Spielern gegenseitig "die Bälle zuzuwerfen". Einige Postspiele werden sogar hauptsächlich zwecks Veröffentlichung lustiger Pressebeiträge durchgeführt! Dadurch sind oft auch Auswertungen von Partien lesenswert, bei denen man selbst nicht mitspielt.

Manchmal hört man das Vorurteil, bei Postspielen käme die Kommunikation zwischen den Spielern viel zu kurz. Das stimmt nicht unbedingt: Erstens entstehen insbesondere durch Verhandlungsspiele Bekanntschaften zwischen Leuten, die sich sonst nie kennengelernt hätten, zweitens gibt es im Zine über Presse und Leserbriefe die Möglichkeit, sich über Gott und die Welt zu unterhalten, und drittens treffen sich Postspieler gelegentlich bei sogenannten Cons (Spielertreffen) persönlich.

Die alljährlichen Internationalen Spieltage in Essen sind traditionell der wichtigste Treffpunkt der Postspiel-Szene: Die Externe WebSiteArbeitsgemeinschaft der Amateur-Postspiel-Zeitschriften stellt dort (fast) jedes Jahr einen eigenen Stand als Treffpunkt für Postspieler und solche, die es werden wollen. Seit 1991 gibt es auch einen jährlichen gemeinsamen Con der Zine-Szene.

Wie man einsteigen kann

Wer jetzt Appetit bekommen hat und diese Art von Postspielen in Zines einmal ausprobieren will, kann sich anhand der weiteren Informationen auf diesen Seiten oder in der Externe WebSiteListe aller existierenden Zines ein oder mehrere Zines aussuchen und bei den jeweiligen Herausgebern ein Probeheft anfordern. Dabei sollte man unbedingt jeweils den vermuteten Heftpreis (z. B. 5,-- DM) in Briefmarken beilegen, weil normalerweise wegen der Kalkulation auf Selbstkostenbasis keine kostenlosen Exemplare abgegeben werden können! (Bitte keine Briefmarken größer als "150" - auch Zine-Herausgeber verschicken nicht ständig große Pakete ...) Außerdem empfiehlt es sich, die eigene Adresse auch auf dem Brief selbst nochmal anzugeben, weil oft in einem ersten Arbeitsgang alle eingegangenen Umschläge nach Entnahme des Inhalts weggeworfen werden. Mit einem Hinweis darauf, wodurch man auf das Zine gekommen ist, kann man dem Herausgeber eine kleine Freude machen. Auch ein paar Worte zur eigenen Person und den bisherigen Erfahrungen mit Postspielen werden immer gern gelesen.

Man muß damit rechnen, daß es durchaus einen Monat dauern kann, bis das angeforderte Probeheft eintrifft, denn von den meisten pbm-Zines werden immer nur soviele Exemplare jeder Ausgabe hergestellt, wie aktuell benötigt werden. Trifft die Anforderung eines Probehefts also kurz nach dem Versand einer neuen Ausgabe ein, muß der Interessent auf die nächste warten.

Dem Probeheft kann man dann die Abonnementsbedingungen entnehmen, speziell die Kontonummer des Herausgebers für die Überweisung der ersten Einzahlung -- falls man sich zum Abonnement entschließt. (Bargeld wird meistens auch akzeptiert, der Versand per Brief ist aber riskanter.) Außerdem findet man in der Liste der Freien Spielplätze die aktuellen Möglichkeiten zum Einstieg in neue oder laufende Postspiel-Partien.

Vor der Anmeldung zu einer Partie sollte man sich unbedingt die entsprechenden pbm-Regeln besorgen, die man gewöhnlich auch beim Herausgeber des Zines bekommt (gegen Einsendung von Briefmarken bzw. Abbuchung vom eigenen Abokonto). Basiert ein Postspiel auf einem im Handel erhältlichen Spiel, so sind die pbm-Regeln meist nur Ergänzungen zu dessen Originalregeln, und letztere können aus urheberrechtlichen Gründen nicht mitgeliefert werden. In diesen Fällen ist also die Teilnahme am Postspiel nur sinnvoll, wenn man das Originalspiel besitzt oder wenigstens kennt. Es gibt aber auch viele Spiele, die speziell als Postspiel entwickelt wurden, und von diesen bekommt man die kompletten Regeln. Schließlich gibt es noch die Gruppe der Varianten-Regeln, die die pbm-Regeln eines Grundspiels voraussetzen.

Sobald sich zu einer angebotenen Partie die nötige Anzahl von Mitspielern angemeldet hat, wird der Spielleiter im Zine den Spielstart bekanntgeben und die ersten Spielzüge von den Spielern verlangen. Oft werden auch die Adressen aller Teilnehmer angegeben, damit sie miteinander verhandeln können. (Es gibt aber auch anonyme Partien, wo die Mitspieler unter Pseudonymen auftreten und nicht direkt miteinander verhandeln dürfen.) Anschließend läuft die Partie dann, wie oben beschrieben, in hoffentlich regelmäßigem Rhythmus ab.

 

Originaltext aus Externe WebSitepbm '01 von Lukas Kautzsch, übernommen 2000-11-04