Die technische Abwicklung eines Discovery-Szenarios

(Michael Schröpl für Interzine 89, 1996-08-24)

Einleitung

Bisher sind meines Wissens etwa ein halbes Dutzend Discovery-Partien basierend auf Gilgamesch oder The Song Of The Night gestartet worden, die allesamt wegen zu hohem Aufwand für den Spielleiter abgebrochen wurden oder kurz davor standen.

Die Verwaltung der umfangreichen Informationen und die Herstellung der individuellen Karten für die Spieler stellen ein erhebliches organisatorisches Problem dar, und ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht, bevor ich mich endlich doch in das Abenteuer Discovery gestürzt habe.

Der Spielplan

Die Pinnwand-Methode

Die Verwaltung von einigen hundert Spielsteinen in Gilgamesch wurde bisher üblicherweise mit Hilfe von Countern und Stecknadeln auf einer gedruckten Karte durchgeführt, also auf einer Art Pinnwand. Solange solche Counter dann nicht zu oft herunterfallen, kann man damit halbwegs leben.

Es ist allerdings keineswegs angenehm und ziemlich fehleranfällig, nach jeder Auswertung die entsprechenden Informationen auf alle Karten der Spieler zu übertragen. Die Spielleiter derjenigen Partien, in denen ich selbst mitgespielt habe, verwendeten fotokopierte Karten (zerlegt in DIN A4 große Kacheln) als Vorlage, fügten die Kacheln notfalls mit Klebestreifen zusammen, malten Spielsteine sowie andere Informationen per Hand auf die Karte und trennten Bereiche außerhalb des subjektiven Sichtbereichs per Schere ab.

Der digitale Spielplan

Karte

Mir war dieser Informationstransfer zwischen Auswertungskarte und Ergebnis für die Spieler viel zu mühsam und zu fehleranfällig. Es ist heutzutage längst kein Problem mehr, eine Diplomacy-Karte einzuscannen und als Bild in ein Dokument einer modernen Textverarbeitung importieren. Mit dem eingebauten Zeichenprogramm der Textverarbeitung dann Counter für die Spielsteine zu malen und diese per Maus auf der Karte (ggf. in einem durchsichtigen Rahmen, der auf den Bild liegt) zu plazieren, ist dann eine Kleinigkeit.

Auf dieser Karte kann ich die Konflikte auswerten, und diese Karte kann ich auch ausdrucken und in der Auswertung veröffentlichen. In meinen Diplomacy-Partien mache ich das schon seit einiger Zeit so, nachdem Daniel Gundelfinger (ebenfalls Diplomacy-GM im Amtsblatt) für seine GMings die entsprechenden Graphikdateien erstellt und mir geschickt hat.

Konsequenterweise habe ich die Karte meiner THORUS-Welt von vorneherein mit dem Zeichenprogramm meiner Textverarbeitung entworfen. Jedes Feld besteht aus einem Polygon, die Inhaltsfarbe kennzeichnet die (regeltechnisch relevante) Landschaft des Feldes. Der Name des Feldes besteht aus einer Zeichenkette, gruppiert mit einem weißen Hintergrundrechteck; dieser Name ist genau wie die übrigen Counter auf der Karte frei plazierbar, damit ich bei drohender Überfüllung des Feldes (anders als bei Diplomacy können bei Gilgamesch sehr viele Spielsteine in einem Feld stehen) seinen Inhalt layouttechnisch optimal anordnen kann.

Digitale Spielsteine

Einheit

Nun zu den Spielsteinen: Jeder besteht aus einer Zeichenkette mit der regeltechnischen Benennung des Spielsteins - z. B. El9aPfe3, d. h. aufgebaute Räuber Nr.1 reiten auf alliierten Pferden Nr. 3; jedes Wesen hat seine eigene Identität - und einem weißen Hintergrund in einer Form, die die Art des Spielsteins klassifiziert (Einheiten rechteckig, Figuren rund, Artefakte oval, Gebäude rechteckig mit abgerundeten Ecken, manifestierte magische Effekte in einem auf einer Ecke stehenden Viereck).

Figur

Zur Unterscheidung der Besitzer der Spielsteine habe ich für jede Nation eine eigene, möglichst individuell aussehende und trotzdem halbwegs gut lesbare Schrift verwendet und zudem versucht, durch die Farbe von Schrift und Umrandung (meine Spieler erhalten die Karten inzwischen als Farbdruck) die Unterscheidung möglichst zu erleichtern.

Versorgungszentren werden jeweils durch ein für jede Nation spezifisch zusammengesetztes Symbol aus Kreisen, Quadraten, Dreiecken usw. dargestellt, wobei der Zusammenhang zwischen einem Wesen und einem Versorgungszentrum derselben Nation für die Mitspieler nur implizit möglich ist (wenn z. B. eine Einheit, die in einem Nachtzug ein Versorgungszentrum erobern kann, zu diesem Zeitpunkt in einem solchen Zentrum beobachtet wird, ist der Zusammenhang klar).

"Trägt" eine Figur ein Artefakt, dann werden beide Spielsteine überlappend dargestellt.

Die Auswertung von Konflikten

Die Auswertung der eigentlichen Zugbefehle nehme ich zuerst einmal auf den Zugzetteln der Spieler vor und bewege dabei jeweils sofort die Spielsteine auf der Karte. Zusätzlich mache ich eine "normale" Gilgamesch-Auswertung in der Standard-Gilgamesch-Notation (mit einigen praktischen Erweiterungen); hierbei verwende ich in der jeweiligen Auswertungsdatei zwei verschiedene Darstellungsstile für

Im Gegensatz zu üblichen Discovery-Partien erhalten meine Spieler also auch ihre eigene Auswertungsdatei; dies hilft ihnen, GM-Fehler zu erkennen, wenn beide Informationen (Befehlsliste und Karte) nicht übereinstimmen. Normalerweise ist man als Spieler bei Discovery einem Auswertungsfehler hilflos ausgeliefert, weil man selten genügend Informationen besitzt, um entscheiden zu können, ob eine Spielsituation aufgrund der Wirkung unbekannter Spielsteine außerhalb des eigenen Sichtbereichs oder aufgrund eines Auswertefehlers entstanden ist.

Syntaktisch defekte Befehle sind wie bei Gilgamesch üblich unterstrichen und mit einem Fehlerkennzeichen versehen; sonstige nicht ausführbare Befehle (Auswirkung von Magie, Konflikte usw.) unterstreiche ich jedoch nur dann, wenn der Spieler ihre Unwirksamkeit schon allein durch die Information seiner Karte erkennen kann.

Die Auswertung enthält aber dennoch einige zusätzliche Informationen gegenüber der Karte, nämlich die effektiven Spielbefehle zum Zeitpunkt der Auswertung (diese können sich aufgrund von Scharmützeln und magischen Einwirkungen aller Art von den Befehlen, die der Spieler abgegeben hat, erheblich unterscheiden).

Subjektive Karten

Nach dem Abschluß der Auswertung habe ich also eine Gesamtkarte mit der aktuellen Spielsituation.

Diese Karte bestand ursprünglich aus mehreren Segmenten, da ich Teile größer als DIN A4 mit meinem Textverarbeitungssystem nicht sinnvoll ausdrucken konnte. Dies führte allerdings dazu, daß die Auswertung eines Konflikts über eine Segmentgrenze hinweg zu einer unerfreulichen Blätterorgie ausartete, wenn ich mir die relevanten Spielsteine zusammensuchen mußte (an einer Ecke, wo vier Segmente zusammenstoßen, ist das entsetzlich). Bei meinem ersten Ansatz habe ich dann die einzelnen Segmente hinreichend oft ausgedruckt, je nach Spielernation die entsprechenden Teile zusammengeklebt und die dem Spieler nicht zugänglichen Informationen mit der Schere entfernt.

Die richtige Idee kam mir erst bei der Umstellung auf farbige Karten (ein Freund bot mir an, seinen Drucker hierfür benutzen zu können). Da Farbdrucke teuer sind, ist es empfehlenswert, Tinte zu sparen. Sinnvollerweise macht man die Schnitte also vor dem Drucken und nicht nachher.

Die Gesamtkarte besteht inzwischen also nur noch aus einem einzigen, riesengroßen Rechteck, auf dem ich nur noch an den Kanten die beschriebenen Blätterprobleme haben kann (sofern an diesen Kanten die Welt ringförmig zusammenhängt und nicht zuende ist).

Nun vervielfältige ich die Gesamtkartendatei am Ende der Auswertung (einmal pro Spielernation), lösche für jeden Spieler die ihm nicht sichtbaren Felder der Karte aus seinem Exemplar und verschiebe das verbleibende Bild innerhalb des (dann entsprechend reduzierten) Segments so, daß es nach Möglichkeit auf eine DIN-A4-Seite paßt (wenn das nicht geht, muß ich eben nach wie vor Teile ausdrucken und zusammenkleben).

Das Löschen der nicht zu veröffentlichenden Kartenteile geht durch Auswählen ganzer Gruppen von Kartenelementen per Mausklick ziemlich schnell; bei der Herstellung dieser individuellen Karten erfolgt automatisch noch eine abschließende Plausibilitätskontrolle der Auswertung für diesen Spieler.

Einschränkungen

Aus der ursprünglichen Art der Herstellung dieser Karten folgt übrigens eine bestimmte Einschränkung für die Art der Informationen, die ich darauf darstellen kann: Jeder Spieler sieht die Karte mit denselben Augen wie der Spielleiter, da ich nur ganze Felder entfernen kann, nicht aber Teile eines Feldinhalts.

In Gilgamesch gibt es allerdings ein Spielelement, durch welches eine Figur ihre Position auf der Karte verbergen kann (Tarnkappe); das entsprechende Element mußte ich in meinem Szenario aus der Tabelle der möglichen Entdeckungen entfernen. Da ich inzwischen individuelle Karten pro Spieler schon im Rechner herstelle, könnte ich die Tarnkappe heute verkraften, müßte allerdings bei der Endverarbeitung jeweils extra daran denken, ihren Träger von allen subjektiven Karten (außer der des Besitzers natürlich) zu entfernen. Das wäre natürlich besonders fehleranfällig.

Auswertefehler

Um meine eigenen Fehler in der Auswertung entdecken zu können (immerhin ist das mein erstes Gilgamesch-GMing, und ich habe vorher ein paar Jahre lang selbst nicht mehr Gilgamesch gespielt und einige Entwicklungen nicht direkt mitbekommen), habe ich eine gewagte Erfindung ausprobiert: Jeder Spieler, der einen Auswertefehler findet, darf nicht nur dessen Korrektur verlangen, sondern er darf mir wahlweise auch verbieten, diesen Fehler zu korrigieren, wenn ihm das taktisch besser in den Kram hat und er Angst hat, ich würde den Fehler selbst noch erkennen.

Zwei Ausnahmeregelungen sind natürlich erforderlich:

Der erste Fall ist bisher noch nicht aufgetreten, der zweite erst einmal.

Auf diese Weise müssen die Spieler keine Geheimnisse vor den Spielleiter haben und können sich mit ihm ausführlich über die Partie unterhalten, was in einer anonymen Partie für einige Spieler besonders wichtig ist (jeder andere Gesprächspartner scheidet ja wegen der Anonymität aus). Ich wiederum lerne aus meinen Fehlern, weil die Spieler sie mir rechtzeitig mitteilen, ohne dadurch Nachteile befürchten zu müssen. Überhaupt bin ich als Spieler immer dann unglücklich, wenn mich ein Spielleiter - etwa durch eigenwillige Interpretation der Regeln und durch fehlende Rechtssicherheit dazu zwingt, auch "gegen ihn" zu spielen; dies möchte ich meinen Spielern auf keinen Fall zumuten.

Dauer einer Auswertung

In dem hier beschriebenen Modus brauche ich für die Auswertung eines Zuges etwa 25 Arbeitsstunden (was für eine Gilgamesch-Auswertung dieses Umfangs gar nicht ungewöhnlich ist). Die Auswertung des vergangenen Zuges - inklusive aller Tabellen, Karten und Nachrichten - umfaßte allerdings auch satte 52 Seiten! Manchmal wird eben ein Zine aus einer Idee ...

Derzeit läuft die Partie (erstaunlicherweise) in einem sehr regelmäßigen 4-Wochen-Rhythmus, da ich nach jedem ZAT ein volles Wochenende und ein paar Abende während der Woche für die Auswertung investieren kann. Die Spieler haben gute zwei Wochen Zeit für ihre Züge (und ich handhabe den ZAT bisher recht locker); die brauchen sie auch, wenn sie - inklusive eigener Kommentare, Regelfragen und ausführlicher Nachrichten an die Mitspieler - bis zu 8 Seiten für einen Zug abgeben. Zudem bin ich ja für diese Partie wegen der individuellen Verschickung der Auswertungen an keinen Erscheinungsrhythmus gebunden; meine Spieler wissen, daß die Partie mal eine Woche liegen bleiben wird, falls zufällig um den ZAT herum gerade die Zines herauskommen, für die ich selbst Züge abzugeben habe.

Fazit

Fazit: Natürlich kostet Discovery in diesem Modus immer noch viel Zeit, aber man kann sich das Leben durch eine vernünftige Organisation und die Verwendung einer hochwertigen Infrastruktur sehr erleichtern.

Auf der hier beschriebenen Basis halte ich die Durchführung solcher Partien für machbar, und ich bin sicher, daß zumindest meine Partie nicht wegen Überlastung des GMs abgebrochen werden wird. Jetzt bräuchte ich bloß noch ein funktionierendes Gilgamesch-Auswerteprogramm, das würde den Aufwand einer Auswertung noch einmal locker halbieren (oder wahrscheinlich sogar dritteln) und die Anzahl der Auswertefehler gegen Null gehen lassen.

Nachtrag

(ca. ein Jahr später:) In den letzten Zügen der Partie verschlechterte sich die Zugabgabemoral einiger Spieler erheblich, so daß der ZAT-Rhythmus deutlich länger ausfiel. (Aber sie wurde Externe WebSitefertig!)

Ein hinreichend großer Teil der anfallenden Arbeit fällt immer noch auf die Infrastruktur: Ausdrucken und Kopieren von Auswertung, Karten und Nachrichten, Eintüten, Beschriften von Briefumschlägen, Kaufen und Kleben von Briefmarken, Führen von Konten für die Verrechnung der Briefmarken. Das alles kostet ganz schön viel Zeit, nachdem die Auswertung eigentlich schon längst fertig ist.

Andererseits habe ich in den letzten Zügen der Partie mit Erfolg ausprobiert, Auswertung (als HTML-Dokumente) und Karten (als GIF-Bilder) an die Spieler zu verschicken - wenn es schon einen weltweiten, plattformunabhängigen Standard gibt und ich die Konverter dorthin besitze ...

Die nächste Partie dieser Art werde ich deshalb sicherlich nur noch via E-Mail abwickeln. Damit fallen das Ausdrucken der Karten (und der Zwang für die DIN-A4-Formatierung) sowie die Verwaltung sämtlicher abrechenbaren Kosten weg, was noch einmal eine ganze Menge Zeit sparen dürfte.