Einige Gedanken zur Modellbildung bei United

(Willmar Plewka)

Zielsetzung

United ist mit 'Fußball' (1) eng verbunden - wer würde das bestreiten? Und es steht wohl auch auße Frage, daß die Beliebtheit von 'Fußball' in unseren Breiten einen wesentlichen Grund für die Beliebtheit von United darstellt.

So weit, so gut.

Dennoch, und das haben die bisherigen Diskussionen im United-Forum gezeigt, gibt es unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis zwischen United und 'Fußball'. Die einen sehen in United eine 'Fußball'-Simulation, die anderen sehen in United ein auf mathematischen Grundlagen basierendes (Post-) Spiel mit 'Fußball'-Ambiente.

Daraus ergeben sich zwei vollkommen unterschiedliche Zielrichtungen für die Weiterentwicklung von United, die wiederum zu unlösbaren Konflikten in der Diskussion führen.

Ich will im folgenden einige Überlegungen dazu anstellen, die begründen sollen, warum ich dem Spielcharakter von United gegenüber dem Simulationscharakter grundsätzlich den Vorzug gebe (2).

Eigenschaften von Modellen

Simulation - das bedeutet die Abbildung von dem, was wir wahrnehmen, auf ein Modell.

Bei dieser Modellbildung wird man zunächst sehr grob vorgehen und nur einige Aspekte des Abzubildenden modellieren. Schritt für Schritt erfolgt dann eine Verfeinerung des Modells mit der Zielsetzung, daß das Modell irgendwann einmal möglichst allen Aspekten des Abzubildenden gerecht werden soll (3).

United bildet Fußball auf eine Menge von Regeln ab. Einer Verfeinerung des jeweils aktuellen Modells entspricht also die Hinzunahme von neuen Regeln oder die Einführung von Regeln, die mehrere alte Regeln zusammenfassen. Die Verfeinerung wird jedenfalls die gleiche, meist jedoch eine höhere Anzahl von 'Freiheitsgraden' (4) besitzen als das vorherige Modell. Die Entropie nimmt zu.

Das bedeutet, daß eine auch nur einigermaßen konsequente Verfolgung des Simulationsgedankens bei United zu ausuferndem Regelwerk und zu zunehmender Undurchschaubarkeit der Regeln führen muß. Dies gilt um so mehr, da das aktuelle Modell bei ehrlicher Betrachtung praktisch noch nichts mit den 'Fußball'-Abläufen zu tun hat. (5)

Eigenschaften von Spielregeln

Der Entwicklung von United lag zunächst der Spielgedanke zugrunde, nicht der Modellgedanke.

Ein wesentlicher Faktor für die Spielbarkeit eines Spiels ist eine gewisse Konsistenz der Spielregeln, d. h. die Spielregeln sollten möglichst alle vorkommenden Spielsituationen abdecken und in sich widerspruchsfrei sein. (6)

Von Modellregeln ist Konsistenz im allgemeinen nicht zu erwarten. (7) Selbst wenn also eine 'hinreichend genaue' Simulation von 'Fußball' möglich wäre, so müßte sich das durch Spielregeln gewonnene Modell davon grundsätzlich unterscheiden. Spielregeln aufzustellen heißt nun einmal: Modellregeln auswählen (-> Länge des Regelwerks), vereinfachen (-> Verständlichkeit des Regelwerks), diskretisieren (->Bewertungskriterien für dynamische Prozesse des Modells).

Alles in allem möchte ich so weit gehen zu behaupten, daß Spielgedanke und Modellgedanke einander widersprechen.

Festlegung von Prioritäten

Aus dem bisher Gesagte folgt für mich als Spieler, daß es bei United zunächst darum gehen muß, eine möglichst konsistente Regelfassung zu erstellen. Das bedeutet insbesondere, daß bei jeder aufzunehmenden Regel überlegt werden muß, ob ein Gewinn im Sinn von 'Fußball'-Simulation nicht einen zu großen Verlust im Sinn von Spielbarkeit in sich trägt.

Die Angabe der Spielminuten, in denen Tore fallen, und der Torschützen beeinträchtigt den Spielmechanismus nicht. Ich kann mir auch vorstellen, daß Konzepte wie z. B.

ohne größere Probleme zu realisieren sind.

Nicht zuletzt würde wohl niemand gern auf die Spielberichte des GM verzichten.

Hinsichtlich eines nicht nur konsistenten, sondern auch eines umfassenden, einheitlichen United-Regelwerks (8) müssen jedoch historisch gewachsene, simulationsbedingte Spielregeln zur Disposition stehen.

Spielerklassen in United

Betrachten wir als Beispiel das Spielerkonzept in United (-> United-Forum 3).

Die Stärke eines Feldspielers wirkt sich additiv bei der Berechnung der Torchancen aus, die Stärke eines Hintermannschaftsspielers multiplikativ. Dies definiert zwei Spielerklassen.

Spieltechnisch gesehen spielt es zunächst keine Rolle, daß der Torwart und der Ausputzer zu derselben Spielerklasse gehören. Schwierig wird es erst, wenn aus eindeutig simulationsbedingten Gründen der Ausputzer als Verteidiger spielen können soll bzw. ein Verteidiger als Ausputzer. Das bedeutet nichts anderes als einen Wechsel der Spielerklasse, was eben das Konzept der Spielerklassen untergräbt. Und warum, könnte man konsequenterweise fragen, sollte man dann nicht auch einen Feldspieler ins Tor stellen können, wenn z. B. der reguläre Torwart gesperrt ist?

Als anderes Extrem wäre folgende Erweiterung des Spielkonzepts in United denkbar:

Eine solche Regel hätte natürlich weitreichende Änderungen des Spielmechanismus zur Folge. Stichworte wären hier z. B. das 130-WP-Team und die 3:1-Regel. Aber die Regel wäre eine konsequente Umsetzung der Forderung nach einem umfassenden, einheitlichen United-Regelwerk, die zudem den Vorteil hätte, daß die Befürworter der 'Fußball-Simulation' keine Einwände haben sollten. (10)

Fazit

Es scheint mir wichtig, Übereinkunft darüber zu erreichen, daß der wesentliche Charakter von United der eines Spiels ist. Spielmechanismus und Konsistenz des Regelwerkes sollten Vorrang haben vor allen anderen Überlegungen, insbesondere was die Simulationstreue angeht.

Dementsprechend wäre es das Ziel, den Spielablauf so weit wie möglich zu mechanisieren und Spielentscheidungen auf diese Art und Weise aus den Händen des GM in die Hände der Spieler zu geben. Möglich auch, daß es gerade hieran scheitert.

Ist es nicht schön, ein Gott zu sein ... ?

Fußnoten

  1. Damit sind nicht nur das Spiel als solches und seine Regeln gemeint, sondern auch die damit zusammenhängenden Organisationsformen und -abläufe.
  2. Diese Überlegungen gelten entsprechend auch für viele andere 'Simulationsspiele'.
  3. Das Problem zu betrachten, wann ein Modell als 'hinreichend genau' anzusehen ist, will ich mir an dieser Stelle ersparen.
  4. Ich benutze diese Begriffe hier nach intuitivem Verständnis.
  5. Ich unterscheide hier nicht zwischen den verschiedenen United-Varianten.
  6. Diese Eigenschaften werden am besten durch das 'Meta-Spiel' Nomic verdeutlicht.
  7. Ich verweise als Beispiel auf die Logik 2. Stufe und den Satz von Gödel.
  8. Ziel eines solchen Regelwerks wäre entweder eine Modularisierung der Regeln, so daß sich jeder GM für sein eigenes System eine Teilmenge von Regelmoduln auswählen kann, oder die Entwicklung eines Grundregelwerkes mit verschiedenen Ausbaustufen wie z. B. bei Cosmic Encounter.
  9. Damit ist nicht der übliche Begriff des 'Sonderspielers' wie z. B. in der Amtsblatt-Liga AUFSTIEG gemeint.
  10. Es besteht allerdings die Möglichkeit, daß diese Regel auf United-historisch begründeten Widerspruch trifft.

Simulation und/oder Spielregel

(Michael Schröpl)

United ist ein 'postalisches Fußballspiel'. So steht es im Titel von United3. In dieser Beschreibung sind beide Elemente, die Willmar Plewka in seinem Artikel angesprochen hat, gleichermaßen enthalten.

Demzufolge wird es immer Anhänger beider Extreme geben: diejenigen, die in United eine Simulation sehen, die immer näher an das tatsächliche Fußballspiel anzunähern ist, und diejenigen, die United als eines der besten, variabelsten Wirtschaftsspiele schätzen, das mit relativ wenigen, kompakten Regeln eine Vielzahl strategischer und taktischer Elemente bietet - egal wie viel es mit Fußball zu tun hat.

Ich befinde mich in der glücklichen Position, beide Fraktionen verstehen zu können. Einerseits ist mein Verständnis dessen, was ein funktionierendes Regelsystem leisten soll, derjenigen Willmar Plewkas ziemlich ähnlich. Andererseits kenne ich (als Spieler und Spielleiter) auch ein paar Simulationsspiele, vor allem Rollenspiele mit hunderten von Seiten an Regeln. Ich bin sowohl Regel-Mechaniker als auch United-Fundamentalist - nach 20 Saisons als Manager sind mir die Mechanismen in Leib und Seele übergegangen.

Die Sache mit dem Widerspruch zwischen Detailierungsgrad und Regel-Griffigkeit kann ich aber so nicht im Raume stehen lassen. Es ist keineswegs so, daß eine Vielzahl von Regeln das Spiel unspielbar machen. Gerade Rollenspiele zeigen immer wieder, daß ein wirklich fähiger Spielleiter die Sache perfekt in der Hand haben kann, während ein anderer Spielleiter sich das Geschehen leicht aus der Hand nehmen läßt. Es hat nichts mit der absoluten Menge an Regeln zu tun, ob der Spielleiter den Durchblick behält.

Vielmehr ist es eine Sache einer jeden einzelnen Regel, verständlich formuliert zu sein oder eine Menge Tücken zu enthalten. In dieser Hinsicht betrachte ich die im Amtsblatt gestartete Partie Nomic, in der Regeln das Objekt des Spiels selbst darstellen, mit großer Spannung. Vertreter beider Fraktionen spielen dort mit - was man den ersten eingereichten Regeländerungsanträgen deutlich ansehen kann.

Der eigentliche trade-off zwischen 'schönen' und 'verständlichen' Regeln liegt meiner Meinung darin, daß die Simulationisten beim Regel-Entwerfen munter drauflos formulieren und nicht mit dem bösen Theoretiker rechnen, der jede Regel dreimal umdreht, bevor er sie einführt bzw. anwendet. Die Theoretiker hingegen sind an einer Erweiterung der Regeln nur selten interessiert - ihnen reicht es, die vorhandenen Regeln bis zum Anschlag auszureizen.

Was kann man also tun? Man sollte Regeln in Teamarbeit entwickeln. Die kreativen Simulationisten sollten ihre Ideen ins Unreine formulieren, ohne zu glauben, daß diese Ideen mit dem endgültigen Regeltext allzuviel gemeinsam haben werden. Die Theoretiker sollten die Ideen vom 'Markt' einsammeln, abklopfen, die Löcher entfernen, die Auswirkungen checken und danach die Regel auf das Volk loslassen.

Diese Zeitschrift hier erscheint mir als ein geeignetes Medium, die beiden Gruppen zusammenzubringen - wenn beide wollen. Dazu ist eine Vorleistung von den Extremen zu erbringen: beide Fraktionen müssen einsehen, daß sie allein keine United-Regel konstruieren können, die allen Spielern auch nur einigermaßen gerecht werden kann.

Was ich mir unter einem einheitlichen Regelwerk vorstelle, habe ich an anderer Stelle in diesem Heft beschrieben. Daß ich historisch gewachsene Regeln nicht als unveränderlich betrachte, das hat die Entfernung der Spionage-Regel bewiesen, die in United anachronistisch erschien. Andererseits hat es keinen Sinn, Grundregeln ohne Rücksicht auf Verluste zu streichen - das würde der 'Markt' einem Regel-Designer wohl kaum verzeihen.

Der Mechanismus, den Willmar zur Auswertung von Torchancen vorschlägt, weicht ganz erheblich von dem ab, was in United als entsprechende Regel enthalten ist. Das Modell an sich ist sehr interessant; man könnte mal andiskutieren, welche Taktiken bei diesem neuen Modell besonders erfolgversprechend aussehen. (Ich werde diesen Artikel nicht selbst schreiben - also?)

Willmars Ansatz zeigt deutlich das Extrem des Regel-Minimalisten. Dabei hat er (offenbar mit Absicht) den Ausputzer von W15 auf W14 übersetzt. Das sieht jetzt sehr hübsch aus, wie Torwart und andere Sonderspieler gleich behandelt werden.

Der Vorschlag, den Spielablauf so weit wie möglich zu automatisieren, entspricht auch meinen Vorstellungen. Allerdings sollte man auch hier nicht übertreiben. Ich schätze es zwar sehr, daß ich für die Auswertung eines Spieles (inklusive Kommentar) keine 5 Minuten brauche. andererseits möchte ich auch als GM für den Spielablauf etwas tun.

Der Entwurf des GM-Angebotes ist für mich der Höhepunkt der Saison; an der Auswertung machen die kreativen Teile wie Schreiben von Spielkommentaren erheblich mehr Spaß als die mechanischen Teile wie das Eintippen der Züge. Der Aufbau des GM-Angebotes ist durchaus eine Spiel-Entscheidung, die der GM in die eigene Hand nimmt. Ich stelle den Managern damit die Aufgabe, zu verstehen, was die Sonderfähigkeiten bewirken und wieviel Geld man für solche Spieler investieren sollte. In diesem Sinne spiele ich in meinem eigenen United-System sehr wohl aktiv mit.

Auch macht es mir Spaß, für einen NMR-Verein, der bisher meistens gestürmt hat, eine Sturm-Aufstellung zu basteln, in der Stan Dard die 3:1-Regel optimal auszunutzen versucht. Das ist viel weniger öde als das Heraussuchen eines alten Zugzettels und das Eintippen der entsprechenden Aufstellung, die ich ja ohnehin häufig modifizieren muß, weil Spieler gesperrt sind oder aus anderen Gründen keine korrekte Aufstellung vorliegt. Auch hierbei bin ich aktiv beteiligt, lege mir aber zuvor aus Neutralitätsgründen die Beschränkung auf, nicht auf den Gegner zu reagieren (auch nicht auf den Namen des Gegners - als Spielleiter kennt man alle Teams viel zu genau). Daß Stan Dard dabei manchmal besser aufstellt als der Manager, finde ich nicht schlimm - erstens gönne ich dem NMRler die Blamage, weniger als Stan Dard zu können, und zweitens ist die Erhaltung eines Teams durch Stan Dard dem Spielgeschehen stets förderlicher als ein 'korrekter', aber blöder Dropout, nach dem der Verein als Schlachtopfer der Konkurrent fungiert.

Schließlich noch ein Wort zu Willmars Schlußsatz: Es ist wirklich schön, ein Gott zu sein - wenn man verantwortungsvoll mit seiner Allmacht umgeht. Lukas Kautzsch hat das schon vor einiger Zeit in Worte gefaßt: "Die Spieler sollten einsehen, daß eine lockere Diktatur doch die beste Organisationsform eines Zines ist, solange der Diktator weiß, was er tut." (Zitat aus Oberfoul).

In einem Rollenspiel, in dem der Spielleiter aufgrund des Spielmechanismus mehr Informationen besitzt als die Spieler und in dem der Spielspaß, die gute 'Show', im Vordergrund steht, reicht es aus, wenn der Spielleiter mit gesundem Menschenverstand auf die Ideen der Spieler eingeht - die wesentlichen Entscheidungen fallen spontan, die 'gute Show' steht im Mittelpunkt.
In einem Postspiel, das aufgrund der bestehenden Regelfassung ausgewertet wird und in dem der Spieler als Motivation für aufwendige Spielaktionen die Garantie einer fairen Auswertung unbedingt braucht, möchte ich die Allmacht des GM durch lückenlos formulierte Regeln möglichst überflüssig machen.

Mein Fazit zur Allmacht des Spiele-Gottes: Was man nicht braucht, das kann man nicht mißbrauchen.