Aufstellungen - nächste Scheibe

(Michael Schröpl)

Los geht's

Mit dem Thema Aufstellungen wird man offenbar nicht auf einmal fertig. Also kann ich lediglich immer mal wieder ein einzelnes Experiment veranstalten und die Leser daran teilhaben lassen.

Im letzten Heft lautete die Erkenntnis: Unter den 10 sogenannten 'reinen Strategien' gibt es deutliche Qualitätsunterschiede. Die Mittelfeld-Walze hatte gegen 9 Gegner im Schnitt 7 Siege und nur eine einzige Niederlage aufzuweisen; die blinde Mauertaktik hatte ebenso wie die 'doofe' Mauerei mit drei Stürmern keinen einzigen Erfolg verbuchen können.

Und diesmal?

Dabei hatte ich allerdings pauschal jede Überlegenheit auf einen Sieg einer Mannschaft abgebildet. So funktioniert das in United aber keineswegs - nicht einmal in Turnier-Fußball.

Als erste Näherung an die (per Modell wahrscheinlich wieder einmal nicht beschreibbare) Realität will ich heute konkrete Sieg-Wahrscheinlichkeiten in die Tabelle aus Heft 10 einsetzen. Dazu brauche ich allerdings Stärke-Werte. Woher nehmen wir die?

Da die grundsätzliche Forderung, alle Spieler seien gleich stark, immer noch erhalten bleiben soll, brauchen wir erst einmal Werte für eine beliebige, aber feste Stärke. Nehmen wir erst einmal die im letzten Heft erwähnten Super-Teams mit 130 WP - die Verallgemeinerung wird dann nicht auf sich warten lassen.

Handwerkszeug

Woher nehmen wir die Siegwahrscheinlichkeiten?

Da gibt es so ein kleines Dienstprogramm namens CHANCEN3.TOS. Diesem kann man die Würfel-Art für Torwart und Ausputzer mitteilen; anschließend kann man Reihenwertungen eingeben und erhält Wahrscheinlichkeiten und Erwartungs-Ergebnisse. Das Ding habe ich 1988 aus UNITED/ST herausgelöst (die grundsätzlichen Routinen hat Lukas dort als GM-Service angeboten); Hajo Gurt hat dann später eine erweiterte Benutzeroberfläche darauf gesetzt.

Aber nun 10 über 2 Aufstellungspaare eingeben, mitschreiben und aufaddieren? Das muß ja wohl auch anders gehen. Also her mit dem Quelltext und ein paar kleine Änderungen: Nun kann man dem neuen Programm CHANCEN4.TOS die Stärke eines Spielers eingeben, und das Programm bastelt sich dann die 10 reinen Strategien samt Spiele-Matrix und summiert alles ordentlich auf. So liebe ich das ...

Was kommt nun dabei heraus? Nun, erst einmal die folgende Tabelle:

 225243324342432234252333423522Bilanz
2251.0001.4281.0001.0000.6061.2061.2061.2911.0001.000 9.738
2430.5721.0001.0001.0001.1440.7090.6061.3941.4221.291 9.138
3241.0001.0001.0000.5780.8561.2910.9080.6061.0001.000 8.240
3421.0001.0001.4221.0001.1851.3940.8561.1441.2911.25610.548
4321.3940.8561.1440.8151.0001.0000.7091.0001.1851.110 9.213
2340.7941.2910.7090.6061.0001.0001.0001.0001.3941.144 8.938
2520.7941.3941.0921.1441.2911.0001.0001.4221.5021.34210.980
3330.7090.6061.3940.8561.0001.0000.5781.0001.1441.185 8.472
4231.0000.5781.0000.7090.8150.6060.4980.8561.0001.000 7.062
5221.0000.7091.0000.7440.8900.8560.6580.8151.0001.000 7.672

Detail-Analyse

Eine solche Tabelle überfährt den unbedarften Betrachter natürlich erst einmal. Ein paar der Zahlen werde ich also in Wort übersetzen müssen, sonst nutzt das ganze Material niemandem etwas.

Jeder Tabelleneintrag enthält eine Anzahl an Erwartungspunkten. Das ist genau dasselbe, was Stephan Valkyser im letzten Heft mit 'Spielwert' bezeichnet hat. 1.000 Erwartungspunkte heißt also, daß man genau so gut war wie der Gegner und im Schnitt gleich viele Spiele gewinnen wie verlieren müßte (insbesondere eventuell auch keines von beiden, wenn beide Seiten keine Torchance haben).

Wann ist man eigentlich gut? Vermutlich dann, wenn man 'richtig geraten' hat. Das müßten also Paarungen sein, bei denen der Gegner mauert, während man selbst gar nicht stürmt (oder mittelfeldet, wenn man doch stürmt), und noch dazu den 3. Stürmer in unseren Ausputzer verschwendet, während man selbst dies nicht tut. Also: 2-2-5 gegen 2-4-3 und 2-5-2 gegen 4-2-3. Sind sie das?

In der Tat - sie sind es. Allerdings ist auch 2-5-2 gegen 3-3-3 enorm gut, weil der Gegner auch hier praktisch voll daneben liegt - nur einer seiner Verteidiger tut etwas für die eigene Offensive, während bei uns zwei Mittelfeldspieler frei herumstehen, was eine 4:1-Überlegenheit an Torchancen ergibt. Und auch 2-5-2 gegen 2-4-3 ist noch sehr stark, während Sturm gegen die vielen Teams mit 3-4 Verteidigern kaum eine ordentliche Überlegenheit herausholen kann - der zusätzliche Ausputzer beim Gegner stört doch ganz erheblich.
Auch bekommt der Gegner eines Stürmers lästigerweise immer gleich halbe oder ganze Torchancen, während dies bei den Gegnern der Mittelfeld-Walze in 6 von 9 Fällen nicht der Fall ist. Mittelfeld erlaubt dem Gegner, seine WP sinnlos in schwach bewertete Reihen zu verschwenden, und vermeidet es zudem, dem Gegner seinen Ausputzer ins Feld zu stellen.
Für Rasenschach trifft übrigens (abgesehen vom direkten Vergleich dieser beiden 'besten' Aufstellungen) exakt das gleiche zu.

Daß inklusive Mauern drei der vier Aufstellungen mit nur 2 Stürmern auf drei der ersten vier Plätze liegen, ist sicher auch kein Zufall: Dem Gegner die Ausputzerwirkung im Feld zu schenken, das kann nur in den seltensten Fällen gut sein. Nun ist auch leicht zu verstehen, weshalb 5-2-2 und 4-2-3 Unfug sind: Das blinde Mauern setzt die WPs in der schlechtestmöglichen Reihe ein (nur wenn der Gegner maximal stürmt, kann wenigstens ein Remis gehalten werden), und 4-2-3 verschwendet obendrein noch einen Verteidiger, der bei 5-2-2 fast immer wenigstens selbst ein paar Torchancen erzielen kann.

Wo sind die Super-Aufstellungen verwundbar? Mittelfeld nur gegen Sturm, Rasenschach nur gegen Mittelfeld. Wenn man selbst mehr WP besitzt als der Gegner, aber nicht raten will, dann kann man den Überschuß (z. B. auch Härte/Heimvorteil) gezielt einsetzen, um diese Schwäche zu beheben (in beiden Fällen kommt dann die gefürchtete und wohl tatsächlich 'beste' Aufstellung 3-5-2 dabei heraus). Damit soll übrigens nicht gesagt sein, daß gegen einen stereotypen Gegner richtiges Raten nicht noch weitaus wirkungsvoller sein kann!

Interessanterweise ist Rasenschach bei gleicher WP-Zahl robuster als Mittelfeld. Im schlimmsten Falle kommen immer noch 0.856 Punkte heraus, bei Mittelfeld nur 0.794, bei Mauern sogar nur 0.709, bei Sturm dagegen katastrophale 0.606. Die Angst davor, ausgemauert zu werden, ist also vollauf berechtigt!

Die einzelnen Standard-Strategien kristallisieren sich also deutlich heraus: Mittelfeld als theoretisch beste Aufstellung, Rasenschach als robuste Allzweckwaffe, Sturm als gute Aufstellung, die zudem als einzige den Favoriten schlägt, Mauern als Variation von Rasenschach (etwas schwächer, aber sehr gut gegen Stürmer).

Interpretation

Nun ja, so ähnlich hatten wir uns das ja auch vorgestellt - oder etwa nicht? Immerhin hatte mein trivialer Ansatz letztes Mal der Mittelfeld-Walze 15:3 Punkte zugestanden; beim Würfeln über beliebig viele Spiele sind es also nur 11:7, was schon wesentlich weniger imponierend aussieht. Überhaupt sind das pro Saison (hochgerechnet auf 22 Spiele) ganze 26:18 Punkte - damit allein wird man sicher nicht aufsteigen können.

Wenngleich Mittelfeld innerhalb der reinen Strategien also einen Spitzenplatz behaupten kann, sind die Abweichungen gegenüber den anderen Aufstellungen so gering, daß man sicher nicht von einer 'besten' Aufstellung im Sinne einer spielbestimmenden Strategie sprechen kann. Natürlich würde bei gleichen Teamstärken die Aufstellung (neben der Würfelei) den Ausschlag geben, aber einzelne Würfel-Pannen oder -Triumphe scheinen eine wesentlich größere Streuung pro Saison ergeben zu können als die ca. +4.5 Punkte, die die Walze gegen das breite Feld erzielen kann (um dies zu verifizieren, sehe man sich die Glückswürfel-Tabellen seines Ligasystems an, so man denn welche hat).

Vertiefung

Stimmen diese Zahlen denn auch für andere Team-Stärken? Tun sie nicht. Wäre ja auch langweilig, wenn es so wäre.

Also werden wir CHANCEN4.TOS wohl oder übel ein paar Mal laufen lassen müssen (noch eine Schleife einzubauen, habe ich jetzt keine Lust mehr). Den gesamten Tabellen-Salat möchte ich der Lesernschaft gerne ersparen. Es kommen immer wieder solche Tabellen heraus wie die auf der vorherigen Seite. Lediglich die Werte ändern sich marginal und mit ihnen auch die Summen-Werte, also die Anzahl an Punkten, die ein Verein in einer Hinrunde einer Saison in einer entsprechenden 10er-Liga aus lauter reinen Strategien zu erwarten hätte. Diese Summen-Werte habe ich nun sortiert und eine Tabelle über alle möglichen WP-Anzahlen gebastelt. Diese Tabelle hat folgendes Aussehen:

 1 WP 2 WP 3 WP 4 WP 5 WP 6 WP 7 WP 8 WP 9 WP 10 WP 11 WP12 WP13 WP14 WP
25213.90011.86513.19012.88513.10312.19712.35011.94211.71610.98010.6119.9839.4229.000
34212.05912.05912.09611.98711.69711.67511.49311.21610.87010.54810.1679.7129.2849.000
225 8.90010.562 9.90910.373 9.95410.170 9.858 9.962 9.718 9.738 9.5299.4289.1879.000
43210.633 9.14210.132 9.491 9.777 9.370 9.685 9.370 9.443 9.213 9.2509.0899.0479.000
243 9.967 8.805 9.453 9.440 9.647 9.206 9.362 9.326 9.368 9.138 9.1339.0619.0219.000
234 9.867 8.546 9.189 8.983 9.247 8.870 9.062 8.988 9.083 8.938 8.9948.9678.9899.000
333 8.133 8.399 8.247 7.955 7.990 8.200 8.230 8.191 8.284 8.472 8.5958.7208.8859.000
324 5.633 8.257 6.998 7.363 6.907 7.766 7.483 7.758 7.716 8.240 8.3338.6288.8309.000
522 6.600 6.772 5.533 6.230 6.326 6.778 6.556 7.029 7.272 7.672 7.8638.0838.7159.000
423 5.633 5.593 5.264 5.293 5.359 5.761 5.921 6.210 6.529 7.062 7.5258.3308.6219.000

Oder anschaulicher als Graphik:

Mittlere Punktzahlen von Standardaufstellungen
Mittlere Punktzahl aller Standardaufstellungen aus 9 Spielen (jeweils pro WP eines Durchschnittsspielers)

Wenn man einmal von den extrem sinnvollen kleinen WP-Werten absieht (welches Ligasystem hat Teams mit einer Gesamt-Stärke von weniger als 40 WP als Standard?), dann kann man die oben getroffenen Aussagen für alle WP-Werte verallgemeinern.

Trivialerweise fällt bei Stärke 14 für alle Spieler jegliche Strategie in sich zusammen, weil dem T14 einfach wurscht ist, was die Feldreihen veranstalten, aber ansonsten bleiben die starken Strategien vorne: Mittelfeld, Rasenschach, Mauern und erst auf Platz 4 Sturm.

Klar zu sehen ist auch: Je schwächer die Teams im Schnitt sind, desto mehr macht die Taktik aus. Bei guten Hintermannschaften geht praktisch jegliche Aufstellung im Rauschen der großen Würfel-Zahlen unter.